(Werner Kügel)
Wer den Irrhain durch das Steinportal betritt, schaut vielleicht einmal nach oben und wundert sich über die Jahreszahlen, die auf dem Giebelfeld hervorgehoben sind: 1644 — in diesem Jahr wurde der Orden gegründet. 1676 — in diesem Jahr begann man damit, diesen neuen Versammlungsort anzulegen. (Genehmigt und dem Orden von den Nürnberger „Waldherren“ auf ewige Zeiten geliehen wurde der Irrhain erst 1681!) 1894 — anläßlich seines 250jährigen Bestehens errichtete der Orden das nunmehr dritte Portal anstelle zweier verschlissener. Es sieht barocker aus als das erste.
Die Wege sehen gepflegt aus, und man kann sich sogar bei Regen trockenen Fußes (wenn man den Pfützen auf dem Herweg ausgewichen ist) durch den kleinen Park bewegen. Das liegt an den alljährlich seit 1998 aufgebrachten Lagen von Kalksplitt. Von Hand, nur mit Schaufel, Schubkarren und Rechen. Zwei bis drei Mitglieder des Ordens tun das. Die Wege sorgen dafür, daß Besucher nicht kreuz und quer durch das einmalige Biotop schlendern. Außerdem sind sie wesentlicher Anteil dieses „sprechenden Gartens“: Abbild der Verworrenheit der Welt und der Irrläufe im Lebensgang.
Der Irrhain ist ein natur-kultur-verschränkter Ort. Da er aufgrund kultureller Nutzung der forstwirtschaftlichen Nutzung entzogen war, hat sich eine Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren entwickelt, an der kein Glied fehlt, bis hinauf zum Anzeigelebewesen „Eremitenkäfer“. Sein Stileichen-Hainbuchen-Weißtannen-Roßkastanien-Buchen-Eschen-Erlen-Bestand ist ein geschlossenes, harmonisches System. Nur droht der Ahorn aufgrund von Überdüngung der Äcker nebenan überhand zu nehmen. Auf Anregung und in Übereinstimmung mit den Forstleuten machen sich zwei- bis dreimal im Jahr Mitglieder des Blumenordens mit der Kettensäge zu schaffen, diesem Ungleichgewicht des Nachwachsens abzuhelfen. Auch, um Bruchstücke verwitterungsgerecht zu zerlegen.
Die ältesten Bäume sind über 350 Jahre alt. Sie zerlegen sich von oben, bei Stürmen fallen sie auch zuweilen um. Früher wurden bruchgefährdete „faule Bäume“ von Waldarbeitern, abgesandt vom hilfsbereiten Forstamt, als ganze entnommen. Das tut man heute nicht mehr, um die einzigartige Gesellschaft von seltenen Käfern, Mittelspecht, Pirol und Kauz nicht zu stören.
Ein wenig tiefer im Hain, halbrechts abbiegend, gelangt der Besucher an den Denkmalplatz. Hier stehen Gedenksteine, auch Tafeln zum Gedenken an verdiente Mitglieder hängen an den Bäumen. Die neueste wurde 2019 zum 200sten Geburtstag des Ehrenmitgliedes Theodor Fontane angebracht.
Daneben steht die Gesellschaftshütte, die soundsovielte Ersetzung der auf dem Kupferstich von 1844 abgebildeten, und sie sieht fast genauso aus. Es gab ganz früher fast ein Dutzend Hütten einzelner Mitglieder, doch das ist außer Gebrauch gekommen.
Der Irrhain liegt in der Tat die meiste Zeit still da und lädt zur geduldigen Beobachtung der Naturschönheiten und wohl auch zur Besinnung ein. Zu einigen Anlässen belebt er sich jedoch in feierlicher und fröhlicher Weise: Poetenwettbewerb, Pfadfinderfest, Irrhainfest, Nachtführung bei Fackel-, Kerzen- und Lampionbeleuchtung im Verlauf der Stadt(ver)führungen. Sonstige Führungen werden auf Verlangen vereinbart. Es gibt viel zu erzählen, das macht die sichtbaren Zeichen der kulturellen und biologischen Besonderheiten erst bedeutsam.
Es gab Zeiten, in denen bis von Erlangen ganze Studentengruppen zu Fuß die Feste besuchten, an denen auch getanzt wurde. Zeiten, in denen Ausflügler an Sonntagen Picknicks abhielten; in einem Fall gab es dabei eine Schlägerei mit Todesfolge. Es gab Aufmärsche von Veteranenvereinen zur Feier des deutschen Sieges bei Sedan 1870 — von heute aus betrachtet, eine irre Veranstaltung. Es gab — ach, was soll man aufzählen! Alles, was an Irrtümern und Irresein in der deutschen Geschichte vorkam, hat auch ein Echo im Irrhain gefunden. Und immer haben die Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens den Ausweg aus der Verworrenheit der Welt zur wohlverstandenen Menschlichkeit wiedergefunden.