Geschichte

Der Pegnesische Blumenorden – Ein Beitrag zur Kulturtradition Nürnbergs

(Werner Kügel)

Trichter

Unter dem „Nürnberger Trichter“ stellt sich der Volksmund einen mechanischen Akt der Wissensvermittlung vor, bei welchem einem Schüler der zu erlernende Stoff fast schon gewaltsam „eingetrichtert“ wird. Aus Nürnberg kamen nämlich manche Erfindungen, die andernorts Zeugnis gaben von der Findigkeit, manchmal auch der Versponnenheit, der fleißigen Leute in der alten Reichsstadt. Als aber alte Reichsstädte nicht mehr in Mode waren, traute man ihr jede Spinnerei zu und fälschte eine wirkliche Errungenschaft Nürnberger Gelehrtenfleißes in ein Zerrbild um. Andererseits gehört der Nürnberger Trichter lange schon zu den Wahrzeichen der Stadt und wird mit dem nötigen Humor getragen; selbst eine Nürnberger Likörfabrik vertreibt eines ihrer Produkte unter diesem Namen. Was aber hinter dem Nürnberger Trichter wirklich steht, wissen wenige.

Der Gründer des Pegnesischen Blumenordens, Georg Philipp Harsdörfer, schrieb im Laufe von 20 Jahren Bücher von insgesamt 20000 Seiten Umfang über alles mögliche, vor allem aber über Sprache und Dichtung. Im Jahre 1648 erschien aus seiner Feder ein Werk über das Erlernen der Regeln, die damals beim Verfassen von Gedichten zu beachten waren. Das Buch verzichtete darauf, beim Leser Kenntnis der lateinischen Sprache vorauszusetzen, wandte sich also auch an Nicht-Akademiker und wollte Bildung in weitere Bevölkerungsschichten tragen.

Zumal den Frauen wollte Harsdörfer helfen, zu ebenbürtigen Gesprächspartnerinnen zu werden. (Er hatte schon ab 1642 kleine Bändchen modellhafte Frauenzimmer-Gesprächspiele in 8 Teilen erscheinen lassen). Schon das erschien damals vielen lächerlich, obwohl es weitblickend war. Was aber die Spottlust vornehmlich reizte, war der nach der Mode der Zeit in bildlicher Ausdrucksweise abgefaßte Titel seiner Anleitung: „Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst ohne Behuf der lateinischen Sprache in VI Stunden einzugießen.“ Das wollte nicht heißen, daß Harsdörfer jemand Beliebigen in einem Schnellkurs von sechs Stunden zum Dichter machen wollte! Er wollte sein Teil dazu beitragen, daß die anerkannten Regeln dem Anfänger leichter bekannt würden.

1644 – der Blumenorden wird gegründet. Versammelt am Ufer des Pegnitz-Flusses, nennt er sich „pegnesisch“

Der Gründungslegende nach wurden zum 14. Oktober 1644 anläßlich einer Doppelhochzeit zweier Töchter der Patrizierfamilie Tetzel von Kirchensittenbach zwei Hochzeitsgedichte bestellt, eines von Harsdörfer und ein anderes von dem jungen Johann Klaj, der erst unlängst von Meißen als Kriegsflüchtling zugereist war. Der bessere sollte einen Blumenkranz erhalten, doch sie wollten einander den Vorzug gönnen. Schließlich nahm jeder nur eine Blume heraus, zu der er sich eine Devise wählte, und andere Poeten wurden aufgefordert, dem Bund beizutreten. In Wirklichkeit wird auch ein kulturell aufgeschlossener Kleriker namens Dilherr an der Gründung beteiligt gewesen sein, der zu jener Zeit „Scholarch“, war, d.h. eine Art Kultusminister der Nürnberger Stadtregierung. Für den Heimatforscher ist bemerkenswert, daß es keine uralt-eingesessenen Nürnberger waren, die da tätig wurden: Die Familie von Harsdorf stammte ursprünglich aus Deutschböhmen, Klaj aus Sachsen, Harsdörfers junger Dichterkollege und Nachfolger Birken aus der Gegend von Eger.

Sigmund von Birkens Exlibris mit den Ordensdevisen: „Alles zur Ehre des Himmels“ und „Zu einem Ton einstimmend“. (Die dritte lautet: „Mit Nutzen erfreulich“.)

Der einst recht erfolgreiche Literaturhistoriker Nadler, der alles nach Stammeszugehörigkeit ordnete, faßte den Blumenorden als die nach Nürnberg verlagerte Literatur der Deutschböhmen auf. Das geht ein wenig zu weit, denn der Orden zeigte sich durchaus ins gesellige und künstlerische Geschehen der Stadt verknüpft statt nach oder von drüben orientiert. Aber vor allem: Europa war der Horizont dieser Gelehrten. Sie hatten auf Bildungsreisen einen Großteil davon gesehen und unterhielten schriftliche Beziehungen zu ihresgleichen von den Niederlanden bis nach Neapel. Der mittlere Zirkel ihres Bewußtseins war das Reich, und zwar als Problem, auf das man einzugehen hatte: 30-jähriger Krieg, Schaukelpolitik Nürnbergs zwischen evangelischen Reichsständen und dem katholischen Kaiser, bedrohte Einheit der Kultur sind die Stichwörter. Birken spielte als zweiter Präses (Vorsitzender) zeitweilig die anerkannte Rolle eines Praezeptor Germaniae [van Ingen, Kongreß 94]. Des Deutschen Vaterland war aber damals nicht das Reich. Es gab z.B. den Ausdruck die „nürnbergischen Vaterländer“. Wo der Vater ansässig war, dort fand man normalerweise das Feld für seine Tätigkeit. (Dem 5. Präses, Lilidor, wurde in Italien zugeredet, man könne in Nürnberg einen Mann wie ihn doch gar nicht schätzen. Er kehrte aber zurück und bekleidete zu Hause wichtigste Ämter.

In der Bibliothek des Germanischen National-Museums findet man eine Schrift von 1677: „Der Norische Parnaß und Irdische Himmel-Garten […] bewandlet und behandlet von Floridan [Sigmund von Birken] in geleitschaft seiner Weidgenoßen.“ Dieser Parnaß, dieser Berg der Musen, wurde ihnen der Moritzberg, und Birken läßt einen bei der Besteigung die Rundsicht folgendermaßen kommentieren:

Ich wüste auch meines theils keinen Ort/ der sich bäßer mit der Griechen ihrem Parnaß und dessen Umligenheit vergliche. Kommet/ und betrachtet mir diese Gegend. Dort gegen Mittag/ etwan eine Stunde von hier/ ligt der Norische Musen Sitz Paläkome [Altdorf] und eben so lage Delfis gegen dem Parnassus. Hierunten am Berg gegen Abend quillet der schöne Rocken-Brunn/ den wir hernach beschauen wollen: gleichwie am Parnassus der Brun Castalis. Sehet auch/ dort von Norden her aus den Sudeten/ unsere Pegnitz durch das WiesenThal/das der Griechen ihrem Tempe wol gleichen kan/ den Weg nach der Norisburg suchen/ wie ein Fluß vom Parnaß nach dem Meer von Corintho.

Man sieht nun schon, wie diese mittelfränkische, nicht sehr erstaunliche Landschaft, die in der Menschheitsgeschichte nie eine bedeutsame Rolle gespielt hat, durch solche Vergleiche plötzlich an Sinntiefe gewinnt. Einzigartig sollte sie nach der Denkart jener Wanderer nicht sein, sondern sich im Gegenteilaufeinen klassischen Typus von Landschaft zurückbeziehen lassen. Ebenso mythisch befrachteten die Pegnitzschäfer ihren Irrhain.

1676 – aus dem Poetenwäldchen an der Pegnitz durch einen neuen Zaun ferngehalten, richtet sich der Orden im Irrhain bei Kraftshof einen neuen Treffpunkt ein.
1681 – 1716 Christoph VII. Fürer von Haimendorf (Lilidor I.) 5. Präses des Ordens, erwirkt im gleichen Jahr 1716, in dem die erste gedruckte Satzung des Ordens erscheint, eine Bestätigung der Lehensvergabe des Irrhains an den Blumenorden aufgrund des Waldverlasses von 1681. Er ergänzt die Dichtergesellschaft mit Gelehrten und Geistlichen und dient seiner Stadt als Vorderster Losunger und Kastellan der Reichsveste.

„Lilidor“ – man trug damals im Blumenorden antike Schäfernamen. Als Schäfergesellschaft war der Orden dazu gegründet worden, daß man sich über angenehme Dinge in seiner Freizeit auch einmal von Mensch zu Mensch, fern der drückenden Etikette, unterhalten könne. Gerade das erscheint aber um 1710 nicht mehr seriös. Man nahm es mit Titel und Stellung noch genauer als im Hochbarock. Es ist vor diesem Hintergrund höchst unerwartet und bemerkenswert, daß der neue Präses in einer Denkschrift gerade den Freiraum so hervorhebt, den der Orden gewährt, allerdings nur zum Zweck gelehrter Gespräche. Lilidor sieht den Blumenorden schon als eine Nürnbergische Akademie. Dieser Gedanke wurde im Lauf der Geschichte noch mehrmals aufgegriffen und ist wohl einer der Ansporne, dem der Orden sein Überleben zu danken hat. Die anderen barocken Sprachgesellschaften sind samt und sonders um 1700 eingegangen.

Das Überleben dankt der Orden aber auch dem Irrhain: weil es eine Schande wäre, wenn man wegen Auflösung des Ordens den Irrhain in andere Hände gelangen lassen müßte (so Holzschuher-Alcander in einem Rundbrief von 1751). Damals war der Orden knapp vor der Auflösung, weil sein Vereinszweck kaum mehr beachtet wurde und die Formen der Geselligkeit veraltet erschienen. Aber immer wieder rafften sich einzelne auf, dem Orden wieder Leben einzuhauchen, und das waren nicht durchwegs Einheimische: Cramer (aus Hattingen an der Ruhr, wie die Familie Cramer-Klett, wahrscheinlich verwandt), dann Leinker (Enkel eines zugewanderten dänischen Apothekers, dem die Kugel-Apotheke gehörte)!

1761 schrieb der Leipziger Literaturpapst Gottsched an den Altdorfer Professor und Blumengenossen Georg Andreas Will, da die Pegnesische Schäfergesellschaft ihrem Ende ziemlich nahe zu sein scheine, solle doch Wills Deutsche Gesellschaft sich den Irrhain aneignen! Will und seine Studenten wollten aber lieber dazu beitragen, daß der Orden in reformierter Gestalt weitergeführt werden konnte.

1778 – Unter Präses Johann Augustin Dietelmair (Irenäus) feiern die Pegnesen die Hundertjahrfeier ihrer ersten Arbeiten am Irrhain. Besonders geehrt wird Johann Friedrich Cramer (Irenander), weil er zur Erhaltung des Irrhaines eine namhafte Summe gespendet hat. Ihm wird als erstem, nachdem er wenige Monate darauf verstorben ist, ein Denkmal gesetzt. Es wird 1820 von Heideloff in Stein ausgeführt und trägt heute die Namen der Ordensgründer.

Es gab in Altdorf eine Gesellschaft namens „Deutsche Privatgesellschaft“, die einige Studenten gegründet hatten, und von dieser ging schließlich die längst notwendige Erneuerung des Ordens aus. Sie haben Anteil an derjenigen Traditionslinie, die als Subkultur unmittelbar aus Rokoko und Empfindsamkeit über Sturm- und Drang-Jahre in den vorklassischen Klassizismus führt, fast ohne Übergang zum Biedermeier, vielleicht sogar zum Frührealismus, ohne an der Weimarer Klassik der beiden Größten viel Anteil zunehmen. Ob man diese in Nürnberg, wenn man den Unterschied zu Leuten wie Wieland (einem Ehrenmitglied des Ordens) überhaupt wahrnahm, begriff und schätzte, müßte noch geklärt werden.

1790 wirft ein Windbruch zahlreiche Bäume nieder; die Hecken kommen wegen der Verwandlung des Irrhains in einen hochstämmigen Wald nicht mehr auf. Daher werden allmählich die Laubengänge und Irrhecken aufgegeben. Der Irrhain wandelt sich mit der Zeit zu einem naturnahen Park.

1791 feiert der Reformpräses Georg Wolfgang Panzer (Theophobus) mit seinen Blumengenossen ein Fest der Freundschaft. Die Beleuchtung des Ehrentempelchens hat Stadtflaschnermeister, Mundartdichter (und Blumengenosse) Konrad Grübel verfertigt. Grübel besorgt auch meisterlich die Illumination des Haines zur 150-Jahr-Feier des Ordens 1794.

Um 1800 wirkten sich die geschichtswissenschaftlichen Neigungen einiger Ordensmitglieder auf einem Großteil der Versammlungen aus. Dabei berührt es merkwürdig, schon etwa hundert Jahre, bevor die gründerzeitliche Renaissance-Schwärmerei einsetzte, an der Wahl der Gegenstände bei diesen Nürnbergern ähnliches zu beobachten. Vielleicht hängt es mit dem absehbaren endgültigen Untergang der Reichsidee und des reichsstädtischen Wesens zusammen, daß man sich auf deren beste Zeiten gerne besann.

Am 1. November 1791 mußte besprochen worden, wie sich der Orden gegen eine abträgliche Darstellung in der Berliner „Deutschen Bibliothek“ zur Wehr setzen sollte. Ein Widerhall davon war auch in der „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“ zu lesen gewesen. Von daher wurde wohl Schiller, ohne nähere Kenntnis, zu seinem berüchtigten Xenion über den Orden veranlaßt: „Ganz hypochondrisch bin ich vor langer Weile geworden, und ich fließe nur fort, weil es so hergebracht ist.“ Es ist zu vermuten, daß es politische Gründe waren, die den Journalismus jener Tage veranlaßten, Nürnberg zum Gegenbild all dessen hinabzustilisieren, was man für fortschrittlich hielt. (Statt des Josephinismus einen ordentlichen Jakobinismus, oder so ähnlich.) Die Pegnesen rückten dem „Journal von und für Franken“ eine in ihren Augen zweckmäßige Abhandlung ein, desgleichen dem „Intelligenzblatt“ Nürnbergs. Schiller hat’s nicht wahrgenommen, und Nürnbergs Ehrenrettung erfolgte später aus einer romantischen Gesinnung, die dem Wesen des damaligen Blumenordens auch nicht entsprach, durch Wackenroder („Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“) und E.T.A. Hoffmann („Meister Martin der Küfner und seine Gesellen“): Sentimentalische, von der Sehnsucht nach der vermeintlich heilen Welt des Mittelalters getragene Nürnberg-Schwärmerei.

Im Gegensatz zur Provinzidylle stand um 1820 nicht mehr der barocke Gelehrte, der, weil es noch keine Fachzeitschriften gab, mit Kollegen aus ganz Europa korrespondierte, sondern der heimische Patriot.

Was man damals Patriot oder auch „Biedermann“ nannte – ganz ohne Betulichkeit oder Ironie -, war einer, der sich dem öffentlichen Wohl in seiner Eigenschaft als Privatperson verpflichtet glaubte und danach handelte. Man zog sich nicht auf den Standpunkt zurück: „Ich zahle genug Steuern, der Staat wird’s schon machen“, wenn man Patriot war; man gründete und erhielt durch Stiftungen und Mitarbeit private Anstalten oder Institutionen, die gleichwohl der Öffentlichkeit dienten, obwohl sie sich für die Stifter nicht unmittelbar auszahlten. Rührige Bürger dieser Art fanden sich auch im Pegnesenorden. Doch der genügte ihnen nicht in ihrer Eigenschaft als Biedermänner: Ein weiterer, gemeinnütziger Verein nahm manche Pegnesen auf-die meisten davon gehörten sogar zu seinen Gründungsmitgliedern -, und dieser war die 1792 ins Leben gerufene „Gesellschaft zur Beförderung vaterländischer Industrie“. Aus diesem Kreis kam der Vorschlag für eine Industrieschule in Nürnberg.

Im Blumenorden selber war man unter dem Einfluß der Professoren aus Altdorf am Ende der reichsstädtischen Zeit ernsthaft mit der Errichtung einer Gelehrtenakademie nach französischem Vorbild umgegangen. Es sollte eine historische, eine naturwissenschaftliche und eine literarisch-sprachliche Abteilung gebildet werden. Dagegen forderten einige jüngere Ordensmitglieder in den 1840er Jahren nachdrücklich eine Reform des Vereinslebens. Sie wollten die literarische Bildung aktiv in die Nürnberger Bürgerschaft hineintragen und auch solche am Vereinsleben teilnehmen lassen, die nicht schöpferisch tätig sein konnten; auch für weibliche Mitglieder sollte sich der Orden wieder öffnen. Die Mehrheit im Orden sah wohl nicht, daß dadurch das ursprüngliche Konzept wiedererweckt werden sollte, und lehnte die Forderungen nach Öffnung für neue Mitglieder und nach öffentlichen Vorträgen ab. Der Orden spaltete sich für 16 Jahre. Die Neuerer bildeten den „Literarischen Verein“.

Die Sommerausflüge dieses Vereins führten in den Irrhain, auf den Schmausenbuck, auf die alte Veste und an den Dutzendteich. Die dabei aufgeführten Spiele im Irrhain stammten entweder von Erfolgschriftstellern der damaligen Zeit oder dann von Mitgliedern; insgesamt 15 derartiger Sommerproduktionen sind überliefert. Den größten Erfolg verzeichneten die Aufführungen von Schillers „Wallensteins Lager“ auf der Alten Veste vor mehr als 2000 begeisterten Zuschauern. Nach den Aufführungen, Gedicht- und Liedvorträgen – ein paar Musiker und Sänger waren immer dabei ? folgte ein recht lebhaftes Tanzvergnügen.

Bis zur Liberalisierung des Vereinsrechtes in Bayern im Jahr 1861 verzeichnete der Literarische Verein eine stete Mitgliederzunahme, weil man anderswo kaum in größerer Anzahl zur Freizeitgestaltung zusammenkommen konnte. In jenem Jahr waren es 378, dann nahm die Zahl wegen stärkerer (und weniger geistig anstrengender) Konkurrenz bald ab. Wer im Nürnberger Kulturleben aktiv tätig war, der gehörte nach wie vor dem Literarischen Verein an. Die Pfarrer von Egidien, Lorenz und Sebald, die aus Tradition meist dem Blumenorden angehörten, findet man auch in den Mitgliederlisten des Literarischen Vereins. Schulleiter oder Pfarrer, Lehrer vom Egidienberg, von der Gewerbeschule, sämtliche leitenden Angestellten des Germanischen Museums, viele Kaufleute und Handwerksmeister, Apotheker und Buchhändler, heute würde man vom Mittelstand reden.

Die Außenwirkung des Vereins war wegen der Beziehung nach Übersee bemerkenswert. Correspondierende Mitglieder oder Ehrenmitglieder gab es auf Kuba, in Lateinamerika, vor allem in den USA, dort Wadsworth Longfellow und einige Universitätsprofessoren. Alle auswärtigen Mitglieder wurden 1874 in den Orden übernommen.

Unterdessen war der alte Blumenorden zu einem Industriellenklub geworden. Einer der berühmtesten und ersten war der Kaufmann Johannes Scharrer. Er hatte wesentlichen Anteil daran, daß Nürnberg als Hopfenmarkt im 19. Jahrhundert eine zentrale Stellung einnahm. Von 1823 bis 1829 war er Zweiter Bürgermeister von Nürnberg. Er schuf ein städtisches Volksschulwesen, kümmerte sich um die Reform des Gymnasiums und ermöglichte den Mädchen eine bessere Ausbildung durch die Gründung einer Höheren Töchterschule.

Im „Wegweiser für Fremde in Nürnberg“ von dem Pegnesen Christian Conrad Nopitsch, 1801, war bereits von einer ähnlichen Errungenschaft zu lesen, die auf Ordensmitglieder zurückgeht, allerdings noch im Bereich des Fachschulwesens: „Im Jahr 1793 wurde auf Ansuchen der Gesellschaft zur Beförderung der vaterländischer Industrie durch einen Verlaß des Herrn Oberalmosenpflegers ein Zimmer der Lorenzer Armenschule zum Gebrauch der neu-errichteten Industrieschule auf 24 Mädchen überlassen.“

Indem Johannes Scharrer derartige Bestrebungen in erweiterter Weise fortführte, paßte er gerade recht gut zu den Ordensmitgliedern der damaligen Zeit. Er war seit 1820 unter den Mitgliedern. Unter verbesserten Bedingungen mußte eine solche Orientierung des Blumenordens und einiger seiner neueren Mitglieder einen bedeutenden Anteil an der Industrialisierung und der Wohlfahrtspflege der Stadt haben.

1823: Gründung einer Polytechnischen Schule, die Scharrer nach seiner Bürgermeisterzeit als Direktor leitete und wo er Georg Simon Ohm begegnete. Diese Institution hat zur Nachfolge mittelbar die heutige „Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule“. Am 7. Oktober 1835 wurde der Pegnesische Blumenorden zur Grundsteinlegung der Gebäude für die Chemischen und Mechanischen Werkstätten der „Polytechnischen Anstalt“ eingeladen, die am 15. Oktober abgehalten wurde. Das war kein Zufall, nicht bloße Höflichkeit unter Honoratioren verschiedenster Interessengebiete. Man kann nicht sagen, daß Scharrers Beziehungen zum Orden lediglich aus dem Bedürfnis herrührten, in seiner Freizeit auch ein wenig Schöngeistiges zu betreiben.

Johannes Scharrer war auch Mitbegründer der ersten deutschen Eisenbahn. Zuerst zweiter Direktor der Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft, übernahm er nach dem Rücktritt von G. Z. Platner das Direktorat und den weiteren Ausbau des Unternehmens, dem er bis zu seinem Tod 1844 vorstand. Im selben Jahr feierte der Pegnesische Blumenorden sein 200jähriges Jubiläum, mit dem in gewisser Hinsicht die Biedermeierzeit im Orden zu Ende ging.

1855 stattet König Maximilian II. von Bayern Nürnberg einen Besuch ab, der die Normalität der Beziehungen zur ehemaligen Reichsstadt besiegelt. (Seither gibt es ein „Maxtor“ und ein „Maxfeld“.) Er beehrt auch den Blumenorden mit seiner Anwesenheit beim Irrhainfest.

Für eine weitere Epoche kann Lothar von Faber als repräsentativ gelten. Der Bleistiftfabrikant trat am 22. Dezember 1866 unter der Nummer 560 in den Pegnesischen Blumenorden ein.

Gustav Schwanhäußer, „Schwan-STABILO“, war auch Pegnese. Ferner: der Buchdruckereibesitzer Wilhelm Tümmel; Hermann Lambrecht, 1848 – 1930, Mitinhaber der Nürnberger Farbenfabrik Pabst & Lambrecht. Über 31 Jahre lang, seit 1894, war er Schatzmeister und auch Ehrenmitglied im Orden.

Der Zinnfigurenfabrikant Wilhelm Heinrichsen, Mitglied der Industrie- und Handelskammer und Vorsitzender des Gewerbevereins, war auch im Orden und literarisch tätig.

Sigmund Schuckert, 1846 – 1895, war ebenfalls Mitglied des Ordens ab dem 23.5. 1890. Während eines mehrjährigen Aufenthalts in den USA besuchte er Baltimore, Philadelphia und arbeitete auch in Cincinnati in der Firma von Thomas A. Edison. 1873 nach Nürnberg zurückgekehrt, eröffnete er eine kleine Werkstatt – die Grundlage seines Unternehmens waren 1000 in Amerika ersparte Dollar. Sigmund Schuckerts Sozialmaßnahmen für Arbeiter und Angestellte gingen weit über das gesetzliche Muß hinaus. Während der stärksten sozialen Spannungen im Industrie-Milieu nannten die Firmenmitglieder ihren Dienstherrn vertrauensvoll „Vater Schuckert“. Sein größtes soziales Denkmal setzte er sich in der Stiftung „Wohnungsbaugemeinschaft Sigmund Schuckert“, deren gediegene Wohnlichkeit damals Modellcharakter für das Genossenschaftswesen im Arbeiterwohnungsbau erlangte. Sein 1893 in eine Aktiengesellschaft umgewandeltes Werk wurde später als „Siemens-Schuckert-Werke“ mit Siemens fusioniert. Das wissen ältere Nürnberger noch, die sagen, daß sie „beim Schuckert“ arbeiten, nicht „bei Siemens“.

Dr. Wilhelm Tafel, Hütteningenieur, ist seit dem 3. 3. 1893 unter der Nr.853 in der Stammliste aufgeführt. Er kam im 8. Lebensjahr nach Nürnberg, wo sein Vater ein Feineisenwerk gründete. Im Tafelwerk sieht man heute Zeugnisse der Industriekultur ausgestellt. Dort würde sich ein Hinweis auf den Blumenorden des 19. Jahrhunderts gar nicht schlecht machen.

Dr. Anton von Rieppel, derjenige Generaldirektor der MAN, auf den deren Zusammenschluß aus Augsburger und Münchener Firmen sowie der Cramer-Klett’schen Fabrik diese Firma erst zurückgeht, der den Nürnberger Produktionsstandort von Wöhrd in die Südstadt verlegte und den Arbeitern die Siedlung „Werderau“ erbauen ließ, war unter der Nr. 1115 ebenfalls Mitglied.

Man muß nicht glauben, daß mit diesen repräsentativen Namen, die man vielfach heute noch kennt, die Zahl der Verflechtungen schon erschöpfend dargestellt ist, die den Blumenorden mit der Industrialisierung der Stadt verbinden. Angesichts einer solchen Aufstellung wundert es nicht mehr, wieso es dem Orden gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelingen konnte, noch einmal eine in ganz Deutschland geachtete Rolle zu spielen. Die Mitgliederpolitik der damaligen Ordensleitung und die Aufgeschlossenheit finanziell starker Kreise für den Blumenorden machten manche Vorhaben leichter zu verwirklichen, als es zur Zeit der Fall ist.

Irrhainfeste und Jubiläen (Schillers Todestag 1905) ließen den Blumenorden in den Augen der Nürnberger als etwas ganz selbstverständlich Einheimisches erscheinen, und er mußte seine Existenz und seine Tätigkeit lange Zeit überhaupt nicht mehr begründen. Das schadet natürlich auf die Dauer. Außerdem befand sich die den Orden tragende Gesellschaftsschicht in zunehmendem Gegensatz zu den handwerklichen Errungenschaften und weltanschaulichen Zweifeln der modernen Literatur. Es blieb nicht aus, daß der Orden rückwärtsgewandt wurde, sich vornehmlich für seine eigene Geschichte interessierte, und der Revolution von Rechts keine geistige Eigenwelt entgegensetzen konnte ? gerade rechtzeitig, um in unseren Augen die Ehre des Ordens zu retten, wurde das christliche Fundament in Zeiten des Weltkriegs und des totalitären Staates wiederentdeckt: Einführung der Adventsfeiern (nicht etwa Julfeiern) durch Präses von Scheurl in den 40er Jahren.

Nach dem Krieg war der Orden völlig verarmt, unfähig, den Verfall des Irrhains aufzuhalten; trotzdem sieht man an der Gerhart-Hauptmann-Feier und anderen der ersten Veranstaltungen, daß man an dem kulturellen Aufatmen der Nachkriegszeit Anteil hatte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat er allerdings nur bruchstückhaft in seinen Veranstaltungen von dem jeweils Neuesten in Kultur und Literatur Kenntnis genommen; er blieb in vorsichtiger Abwehrhaltung gegenüber denjenigen Tendenzen, die es darauf abgesehen haben, nur immer wieder „den Bürger vor den Kopf zu schlagen“ (épater le bourgeois – dieser Schlachtruf wirkt selbst ein wenig automatisiert). Während unserer Zeiten hat der Orden in den Auseinandersetzungen literarischer Gruppenbildungen keine Rolle gespielt, was vielleicht recht weise war; er nimmt jedoch auch Mitglieder anderer Schriftstellervereinigungen auf, wie etwa des Deutschen Schriftstellerverbandes, des PEN-Clubs, des Autorenverbandes Franken, der Neuen Gesellschaft für Literatur in Erlangen, und unterhält Beziehung zu Literaturgesellschaften in Innsbruck, Jena, Sulzbach-Rosenberg und Schweinfurt, oftmals auch im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften. Sein derzeitiger Präses hat sich bei der Wiedergründung der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft in Köthen 2008 als Traditionsüberbrücker beteiligt.

Seit gut dreihundert Jahren wurde 1994 zum ersten Mal wieder ein Gemeinschaftswerk von Mitgliedern des Ordens erstellt: die in Wilhelm Tümmels Verlag, Nürnberg, zum Jubiläum erschienene Festschrift. Zum Irrhainfest im Juli 1994 ist ein ungewöhnliches Irrhainspiel, verfaßt vom Ordensmitglied Godehard Schramm, durch das „Illustre Theater“ Werner Müllers aufgeführt und ausschnittweise von einem Kamerateam des Bayerischen Fernsehens aufgezeichnet worden. Zwei Ausstellungen in Stadtbibliothek und Germanischem Nationalmuseum sowie ein internationaler Barockforscherkongreß im Alten Rathaussaal zeugen von der Beachtung, die der Orden von Fachleuten erfährt, aber auch von der tätigen Mitwirkung des Ordens an der Forschung und an der Organisation dieser Ereignisse. Anläßlich des Staatsempfangs, der zum Jubiläum auf der Burg abgehalten wurde, hat der Orden mittelfränkische Deutsch-Facharbeiten prämiiert, unterstützt von der Castell-Bank. Ein zweites Mal fand eine derartige Preisverleihung im Juni 1998 statt, unterstützt von der von-Praun’schen Stiftung, weitere Male im Oktober 2000 und 2002 sowie im Dezember 2004, 2006, 2008, 2010 und 2012, mit wechselnden Förderern, auch zuweilen vom Orden allein finanziert.

2003 kam eine Verleihung an Realschüler dazu, die besonders gute Leistungen im Deutschunterricht erbracht haben, ausgewiesen durch Jahresdurchschnitt und einen besonders geglückten Aufsatz. Sie ist auch in den Jahren 2005, 2007, 2009 und 2011 fortgesetzt worden. Die Schüler erhalten Geldgeschenke und Urkunden. Seit 2013 ist der Aufsatzwettbewerb von dem Lyrik-Wettbewerb an Realschulen Mittelfrankens abgelöst worden, an dem sich Mitglieder des Ordens in der Jury beteiligen. Die Preise des Ordens gehen nur den drei oder vier Preisträgern aus den Abschlußklassen zu.

Die Erneuerungstendenzen der letzten Jahrzehnte, insbesondere was das Selbstverständnis des Blumenordens als Literaturgesellschaft betrifft, setzen sich bis in die Gegenwart fort. Seit 2018 richtet der Blumenorden im Irrhain den Wettbewerb um den Goldenen Blumentopf aus, bei dem nicht nur die literarische Qualität der eingereichten Texte sondern auch die Vortragsleistung der Teilnehmer prämiert wird. Darüber hinaus erscheint, ebenfalls seit 2018, erstmals eine Literaturzeitschrift des Blumenordens, das BLATTWERK, welches sich als Plattform für zeitgenössische Literatur versteht.

Weiterführende Literatur von Werner Kügel:

Geschichte und Gedichte des Pegnesischen Blumenordens, Erstes Buch: 1699-1794, W. Tümmels Buchdruckerei und Verlag Nürnberg 1998, ISBN 3-921590-59-0.
Internetfassung
Dieser Band war vergriffen. Die zweite Auflage ist bei Shaker Media 2019 erschienen,
ISBN 978-3-95631-754-5.

Geschichte und Gedichte des Pegnesischen Blumenordens, Zweites Buch: 1794-1844, Shaker Media Aachen 2008, ISBN 978-3-940459-68-8.
Internetfassung

Geschichte und Gedichte des Pegnesischen Blumenordens, Drittes Buch: 1844-1894, Shaker Media Aachen 2015, ISBN 978-3-95631-309-7.
Internetfassung

Geschichte und Gedichte des Pegnesischen Blumenordens, Viertes Buch: 1894-1944, Shaker Media Aachen 2017, ISBN 978-3-95631-578-7.
Internetfassung

Geschichte und Gedichte des Pegnesischen Blumenordens, Fünftes Buch: 1944-1994, Shaker Media Aachen 2019, ISBN 978-3-95631-728-6.
Internetfassung